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Intralogistik

Lagerhaltunganforderungen steigen – was tun?

Die Anforderungen an Warenlager haben sich im vergangenen Jahrzehnt erheblich verändert – und bisher hat sich nicht der eine richtige Lösungsweg herauskristallisiert. Ein Gastbeitrag von Veit Liemen von Körber Supply Chain.

Die perfekte Lösung für alle Lager kann wohl nie gefunden werden, denn nicht nur die logistischen Abläufe sind im Wandel, sondern auch die Technologien, die diese am Laufen halten. Es lohnt sich also, auf die technische Modernisierung anderer Lager zu schauen, um einzuschätzen, welche Lösungsansätze auch im eigenen Fall Sinn ergeben. Im Folgenden soll daher ein Neubauprojekt in Bezug auf seine Lösungsansätze beschrieben werden.

Logistik-Prozesse werden im Zuge der Globalisierung komplexer
Bei unserem Kunden Binder, einem der Marktführer im Bereich Rundsteckverbinder für die Industrie- und Automatisierungstechnik, entsteht am Hauptsitz in Neckarsulm in zwei Bauphasen ein neues Werk mit Produktion, Logistik, Büros und Sozialräumen. Wie für nahezu alle Lagerbetreiber ging es auch hier darum, Effizienz und Qualität zu steigern und die Kosten zu senken. Kunden erwarten heutzutage schnellere Lieferungen.

Zugleich werden die Logistikprozesse im Zuge der Globalisierung komplexer. Einzelteile oder Waren werden aus verschiedensten Teilen der Welt ins Lager befördert, um von dort im fertigen und verpackten Zustand wieder eine Reise in alle Welt anzutreten. Das hat auch deutliche Auswirkungen auf die Intralogistik, sodass der Anspruch war, sowohl auf Hard- als auch auf Software-Ebene dem Warenfluss die Komplexität zu nehmen. Um dies zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf die Bau-Prozesse.

Zum Ende des ersten Bauabschnitts konnten die Produktion und der neue Logistikbereich mit Hochregallager für Paletten und Kleinteilelager für Behälter sowie umfangreicher Fördertechnik planmässig in Betrieb genommen werden. Das neue Zentrallager vereint die zuvor baulich und räumlich getrennten Versand- und Teilelager. In der zweiten Bauphase werden dann schrittweise die drei Werke zusammengeführt und zugleich direkt ans Zentrallager angebunden.

Durch die Konzentration der Warenströme wird die Komplexität der logistischen Abläufe signifikant reduziert. Möglich macht das eine Logistikanlage mit dem höchsten Automatisierungsgrad der Binder-Unternehmensgeschichte.

Wenn Kapazitäten an ihre Grenzen stossen
Verfolgt wurden unter anderem zwei Lösungsansätze, die auf andere Lager übertragbar sind – Platzoptimierung und Automatisierung. Eine der grössten Herausforderungen in Warenlagern ist die effiziente Nutzung des verfügbaren Platzes. Das hiess im Fall von Binder, dass Räumlichkeiten zusammengelegt oder enger miteinander verbunden wurden. Platzoptimierung kann aber auch die Maximierung der Lagerkapazität bedeuten, die im Zuge steigender Nachfrage nach Produkten erforderlich wird.

Hier können innovative Technologien wie automatische Regalsysteme und vertikale Lagerung zum Einsatz kommen. Vollautomatisierte Lager wie das bei Binder können heute dreimal so hoch gebaut werden wie manuelle Lager. Durch die Nutzung der Höhe lagern mehr Produkte auf kleinerer Fläche, nicht zuletzt, wenn man wie in diesem Use-Case noch auf doppeltiefe Lagerung setzt.

Der zweite Lösungsansatz, die Automatisierung, ist für Lagerbetreiber omnipräsent. Automatisierte Systeme wie fahrerlose Transportsysteme und Roboter ermöglichen eine effiziente und präzise Lagerverwaltung. Sie bewegen Waren schneller und genauer, was zu weniger Fehlern und einer höheren Produktivität führt. Gibt es gutlaufende manuelle Prozesse, kann eine Kombination von manuellen und automatisierten Prozessen im Lager sinnvoll sein. Vorausgesetzt, es sind genügend Arbeitskräfte vorhanden.

Denn Automation kommt nicht nur zur Effizienzsteigerung zum Einsatz, sondern auch, um dem bestehenden Fachkräftemangel zu begegnen. Dabei ersetzen Automationssysteme nicht nur manuelle Prozesse, sondern vereinfachen zum Beispiel mit Step-by-step-Anweisungen an den Arbeitsplätzen die Prozesse so weit, dass auch ungelernte Mitarbeitende diese ausführen können.

Binder war sehr stark gewachsen, sodass die Kapazitäten bereits an ihre Grenzen gestossen waren. Mit Blick auf die Zukunft hatte sich das Unternehmen daher bewusst für ein vollautomatisiertes Lager entschieden, nicht zuletzt, da es eine Doppelnutzung gibt. Der Neubau ist sowohl Nachschublager für die Produktion als auch Fertigwarenlager für den Versand. Automatisierung hilft Prozessfehler, die bei einer solchen Doppelnutzung auftreten können, zu verhindern.

Technologien orchestrieren mittels SAP-Lösung
Möglich ist das nur, wenn die Software-Seite alles gut aussteuert. Um die umfangreichen Technologien einmal zu benennen, die es per SAP zu orchestrieren galt: Das Lager besteht aus einem automatischen Palettenlager (APL) mit doppeltiefer Lagerung und einer Kapazität von rund 1500 Stellplätzen sowie einem vierfach tiefem Shuttlelager für Behälter mit rund 45 000 Behälterplätzen in drei Gassen und 58 Ebenen.

Die Ein- und Auslagerung der Paletten im APL erfolgt über ein vollautomatisches Regalbediengerät und einer Leistung von 35 Doppelspielen pro Stunde. Im Shuttle-Lager kommen pro Gasse vier besonders dynamische Shuttle-Fahrzeuge zum Einsatz, die eine Leistung von 450 Doppelspiele pro Stunde erbringen. Das ermöglicht eine Verdreifachung der Kapazität im Vergleich zum alten Lager. Über die Zahl der Shuttlefahrzeuge kann die Leistung der Anlage mit dem perspektivisch weiter zunehmenden Bedarf sogar noch wachsen.

Um die Automatisierungssysteme in Gleichklang zu halten, nutzten wir SAP EWM (Extended Warehouse Management) und SAP EWM/MFS (Materialflusssystem). Erstgenanntes bildet die Prozesse in den Bereichen Wareneingang, Lagerung, Produktionsversorgung sowie Kommissionierung und Versand ab, das Zweite den Materialfluss in den automatischen Lagerbereichen. Eine optimierte Austarierung all dieser Abläufe gelingt durch die offene Struktur beider Programme.

So lässt sich SAP EWM nahtlos mit anderen SAP-Modulen und -Softwarelösungen wie SAP ERP, SAP S/4HANA und SAP TM verknüpfen beziehungsweise in sie integrieren. Für das Shuttlelager von Binder wurde zum Beispiel ein individualisiertes Prozess-Management-System von Körber aufgesetzt, das sich ebenfalls problemlos in das übergeordnete SAP-System einfügte. Neben der funktionalen Abdeckung der vielfältigen Prozesse legte Binder sehr grossen Wert auf eine intuitive Benutzeroberfläche.

Körber nutzt hierfür «SAPui5», die modernste Technologie der SAP. Der so ermöglichte automatische Datenausgleich zahlt sich auch beim Arbeitsaufwand aus. Dieser wird deutlich geringer, da durchgängige Prozesse die Mehrfacherfassungen von Waren deutlich reduzieren.

Was lässt sich aus diesem Use-Case auf andere Warenlager übertragen? Sicher nicht die einzelnen Hardware-Komponenten – für manche lohnt sich ein grosses Shuttlelager, für andere geht es auch eine Nummer kleiner. Abschauen vom Fall Binder lässt sich aber sicher die optimale Planung von Raum und Technologie. Denn es ist abzusehen, dass die Konzentration der Warenströme ein immer wichtig werdender Lösungsansatz zur Optimierung von Lagern ist.

Wie viele Abläufe automatisch, wie viele manuell erfolgen sollen, gilt es individuell abzuwägen. Klar ist jedoch, dass Automatisierungstechnologie hilft, Platz zu minimieren und Prozesse zu beschleunigen. Aber erst eine durchgängige IT-Struktur sorgt für ein einfach zu handhabendes, schlankes Logistiksystem mit höchstmöglichem Durchsatz und Kapazität.

Die Modularität von Systemen wie SAP sorgt zugleich dafür, dass Anlagentechnik variabel mitwachsen kann. Denn mag es auch keinen universellen Lösungsweg geben, gibt es doch einen universellen Anspruch an künftige Warenlager – flexibel sollen sie sein. Raumgestaltung, Automatisierung und IT-Strukturen werden dabei eine Hauptrolle spielen.

Autor: Veit Liemen*, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing bei Körber Supply Chain.

www.koerber-supplychain.com/de