Retrofit liegt voll im Trend. In den vergangenen Monaten verzeichnet der Intralogistik-Sektor verstärkt Anfragen im Hinblick auf die Modernisierung, den Umbau, das System-Tuning, die Revitalisierung und die Erweiterung bestehender Anlagen. Das Geschäftsvolumen auf diesem Gebiet habe deutlich zugenommen.
Dies berichten unisono international präsente Anbieter von Retrofit-Massnahmen für Lager- und Fördertechnik, darunter die Schweizer Stöcklin Logistik AG, die Schweizer Fehr Lagerlogistik AG, die Schweizer Gilgen Logistics AG und die Knapp AG aus Österreich.
Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, denken manche Material-Handling-Supplier daran, sich noch gezielter als bisher auf dieses Segment zu fokussieren. Zu diesen zählt der norddeutsche Fördertechnikspezialist SEH Engineering GmbH, der ab sofort sein Retrofit-Geschäft in einer eigenen Business-Unit konzentriert. Knapp hat diesen Weg bereits vor etlichen Jahren beschritten.
Seitdem fungieren die «International Customer Services» (ICS) als «unabhängig im ganzen Konzern agierende Einheit» für die Planung und Durchführung von intralogistischen Optimierungsprojekten. Fehr, Gilgen und Stöcklin haben ihre Expertise in Sachen Retrofit ebenfalls in entsprechenden Service-Abteilungen gebündelt.
Gestiegene Energiekosten lösen Retrofit-Boom aus
Die Gründe für den derzeitigen Retrofit-Boom kennt Andre Rawyler, Leiter Spezialprojekte Services bei Stöcklin, ganz genau. Ihm zufolge gewinnt vor allem das Thema Nachhaltigkeit bei Unternehmen einen immer höheren Stellenwert. So gebe es momentan zahlreiche Kunden, die mithilfe eines intelligenten Anlagen-Retrofits eine «signifikant» höhere Energieeffizienz anstrebten, um auf diese Weise die explosionsartig gestiegenen Energiekosten etwas aufzufangen.
Carsten Schmidt, Geschäftsführer des Bereichs Fördersysteme bei SEH Engineering, bestätigt diese Entwicklung. Zudem erscheine in wirtschaftlich unsicheren Zeiten insbesondere mittelständischen Unternehmen das Um- und Nachrüsten vorhandener Anlagen gegenüber einer kompletten Neuinvestition als die weniger riskante Alternative.
Bei Gilgen teilt man diese Einschätzung: «Aufgrund der gestiegenen Zinsen und der Inflation ist eine erhöhte Nachfrage spürbar», so Stefan Hayoz, Abteilungsleiter Vertrieb bei Gilgen. Statt eines Neubaus werde die bestehende Anlage nochmals aufgefrischt und bei Bedarf erweitert.
Alessandro Freidl, bei Knapp ICS Director Onsite Services, bringt noch weitere Aspekte ins Spiel: Demnach erwächst die steigende Nachfrage nach Retrofit auch aus neuen gesetzlichen Vorschriften und dem gestiegenen Bewusstsein gegenüber Cyber-Sicherheit.
Ältere Hardware oft noch voll funktionsfähig
Laut Marco Schmälzle, für Maintenance/Modernisierung zuständiger Vertriebsingenieur bei Fehr, sprechen nicht nur wirtschaftliche Gründe für ein Retrofit der bestehenden Systemarchitektur; denn meist sei die Mechanik älterer Anlagen nach wie vor in gutem Zustand. Dies gilt insbesondere für regelmässig gewartete, auf Langlebigkeit getrimmte Hardware wie Power-and-Free-Förderer, Regalbediengeräte, AGVs oder Hochregalanlagen, bei denen Verschleissteile frühzeitig ersetzt wurden.
In diesen Fällen reiche es meist aus, die veraltete IT-Infrastruktur und Systemtechnik auf den neuesten Stand zu bringen. Zu einem solchen Massnahmenpaket gehört, dass etwa eine vom Hersteller nicht mehr unterstützte Steuerung und die veraltete Elektrik ausgetauscht, neue Schnittstellen definiert und integriert sowie die Lagerverwaltungs- und sonstige Software an gestiegene Anforderungen und Sicherheitsstandards angepasst werden.
Parallel dazu ist ein Retrofit die passende Gelegenheit, alle Komponenten mit veränderten Betriebsabläufen in Einklang zu bringen, um so die Effizienz des Gesamtsystems zu erhöhen und für zukünftiges Wachstum zu rüsten. Bei den Projekten von Knapp ist – wie Freidl betont – das Hinterfragen des Anlagendesigns wesentlicher Bestandteil des Upgrades: «Basierend auf den aktuellen und zukünftigen Geschäftsanforderungen des Kunden sorgt ein Retrofit so für ein Maximum an Business-Continuity und Leistung.»
Retrofit gilt auch für Fremdanlagen
Ein Retrofit ist selbst dann möglich, wenn der ursprüngliche Lieferant einer Anlage vom Markt verschwunden ist, Ersatzteile nicht mehr verfügbar sind und alle Dokumentationen fehlen. Fehr, Gilgen, SEH Engineering und Stöcklin schliessen nämlich die Modernisierung von Anlagen mit ein, die einst andere Anbieter produziert haben.
Alle vier sind durchwegs in der Lage, Systeme unabhängig vom Hersteller und vom Baujahr umzurüsten und mit zeitgemässen Technologien zu versehen. Rawyler verweist dazu auf das breite Fertigungs-Know-how von Stöcklin, um auch in diesem Fall dem Kunden eine «passgenaue Lösung» – notfalls mit «Sonderformaten» – zu offerieren.
Bei Fehr nimmt – wie Schmälzle errechnet hat – das Geschäft mit Fremdanlagen einen Anteil von 60 Prozent innerhalb des Retrofit-Segments ein. Damit erhält jeder Kunde die Chance, von einer per Retrofit gesteigerten Systemverfügbarkeit zu profitieren. Mit vergleichbar geringem Aufwand kann er so seine Wettbewerbsfähigkeit am Markt erhalten oder sogar ausbauen.
Retrofit hat Potenzial zu CO2-Einsparung
Wie sich die Wiederaufarbeitung einer Bestandsanlage gegenüber einer kompletten Neuinstallation in der CO2-Bilanz eines Unternehmens positiv niederschlägt, belegt Freidl anhand eines konkreten Fallbeispiels, das für Knapp typisch ist.
Demnach resultiert das Retrofit eines Lagers mit OSR-Shuttle der ersten Generation bei einer Regalmasse von 573 Tonnen, acht Gassen, einer Fläche von 953 Quadratmetern und einer Höhe von 5,6 Metern in einer Einsparung von 1486 Tonnen CO2 im Vergleich zu einem komplett neuen Shuttle-System. Die weitere Nutzung bereits existierender Lager- oder Fertigungshallen trägt ebenfalls zur Nachhaltigkeit und zur Verringerung des CO2-Verbrauchs bei.
Retrofit erfolgt in der Regel bei laufendem Betrieb
Der Umstand, dass bei einem Retrofit vorhandene Gebäudestrukturen beibehalten werden, bietet dem Kunden einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Er wird von grösseren Betriebsunterbrechungen verschont und kann nahezu uneingeschränkt seine Produktion fortführen. SEH Engineering nutzt bei Retrofit-Massnahmen das bei Greenfield-Projekten bewährte Instrument des «Predictive Engineering».
Dieses sorgt nicht nur für eine optimale Planung, sondern eliminiert dank 3D-Scan und VR-Technologien bereits im Vorfeld potenzielle Kollisionen. Deren Vermeidung zählt zu den grössten Herausforderungen, die ein Retrofit bei laufendem Betrieb mit sich bringt.
Basis für eine neue erfolgreiche Kundenbeziehung
In aller Regel wird die gesamte Anlage Stück für Stück modernisiert, und zwar so, dass der Kunde in seinen Betriebsabläufen so wenig Beeinträchtigung wie möglich erfährt. Die Systemingenieure, die das Retrofit realisieren, müssen auf vorhandene Gegebenheiten Rücksicht nehmen und viel Fingerspitzengefühl an den Tag legen. Für Rawyler erfordert dies ein hohes Mass an Erfahrung und ein «prozessübergreifendes Verständnis».
Ebenfalls unverzichtbar sei «eine transparente, kontinuierliche Kommunikation mit dem Kunden». Ein solcher partnerschaftlicher Ansatz ist für Freidl ebenfalls grundlegend: «Wir helfen unseren Kunden bei der Identifikation und Bewertung von Kennzahlen und erarbeiten gemeinsam Optimierungsszenarien. So können wir gemeinsam Stabilität und Effizienz steigern.» Unter diesen Voraussetzungen kann sich jedes Retrofit-Projekt zum Auftakt einer neuen erfolgreichen Kundenbeziehung entwickeln.