Herr Kretz, in welchen Branchen ist TGW schwerpunktmässig tätig?
Thomas Kretz: In der TGW-Gruppe haben wir drei Kernbereiche. Erstens ist da die «Apparel»-Branche mit Fashion, Bekleidung und Schuhen. Zweites Standbein ist «Grocery», sprich der Lebensmittelhandel mit Kunden wie zum Beispiel Coop, Bell und Migros. Die dritte Branche, in der wir uns bewegen, ist der Bereich «General Merchandise», also die Industrie- & Konsumgüter-Branche. Referenzbeispiele hierfür in der Schweiz sind Interdiscount, Möbel Pfister, Digitec-Galaxus, Meier Tobler, Thermoplan und OPO Oeschger.
Wo liegen für TGW die Herausforderungen und Zukunftschancen in der Intralogistik?
T.K.: Eine der grossen Herausforderungen ist es, gut qualifizierte Mitarbeitende für alle möglichen Bereiche zu finden. Wir planen, unsere Teams und deren Kompetenzen weiter auszubauen, um unsere bestehenden wie auch künftigen Kunden über die nächsten Jahrzehnte eng begleiten zu können.
Eine weitere Herausforderung und Chance ist, dass wir unsere Servicedienstleistungen weiter forcieren, sodass wir nicht nur das klassische Ersatzteil-, Hotline- und Wartungsbusiness anbieten, sondern auch unterstützen, die Anlagen technisch zu betreiben. Insofern sind wir auch damit beschäftigt, weitere zukunftsweisende Lifetime-Services-Dienstleistungen auszubauen.
Dritter Punkt ist die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz. Wir beschäftigen uns intensiv mit Digitalisierung, Software, Automatisierung und Robotik und setzen in der Entwicklung unserer Lösungen auf «zero-touch». Das ist die Basis, autonome Fulfillment Center Realität werden zu lassen.
Welches sind die künftigen Entwicklungstrends in der Intralogistik?
T.K.: Einer der Haupt-Entwicklungstrends in der Intralogistik sind autonome mobile Roboter (AMR). Diesen Trend konnte man exemplarisch sehr gut an der letztjährigen Logimat in Stuttgart sehen. Warum sind AMR derzeit so im Trend? Grosse, hochdynamische und hoch performante Sortiersysteme und Shuttle-Anlagen sind Stand der Technik. Die grosse Herausforderung besteht jedoch darin, in einem Intralogistikzentrum die letzte Meile zu erschliessen, und dabei kommen die autonomen mobilen Roboter ins Spiel. Hoch performante Shuttle-Anlagen mit mobilen Robotern clever zu verknüpfen, ist eine spannende Herausforderung.
Wie sieht das Angebots-Portfolio von TGW in naher Zukunft aus?
T.K.: Das Lösungs-Portfolio von TGW Logistics ist eines der breitesten Angebote am Markt. Was wir aktuell stark vorantreiben, ist der Bereich der mobilen Roboter. Hier haben wir eine strategische Partnerschaft mit der Firma Safelog.
Ein zweites Thema, das wir derzeit entwickeln, ist eine neue Technologie: Die innovative Hängefördertechnik samt Sortertaschen ist ein Gamechanger für den E-Commerce. Sie setzt auf autonome Roboter, die sich in einem Schienensystem samt Kreuzungen selbstständig ans Ziel bewegen. Diese Konzeption bringt maximale Flexibilität in Anlagendesign und -betrieb – und ermöglicht die exakte Skalierung auf die tatsächliche Entwicklung des Geschäfts. Das initiale Investment und die Betriebskosten sind niedrig, Leistung lässt sich in Form zusätzlicher Module bequem dazu addieren.
Im dritten System, das wir entwickeln, übernehmen entsprechend dem Motto «Stop just picking, start fulfilling orders!» Roboter das vollautomatische Ein- und Auslagern. Im Order Fulfillment bringen mobile Roboter die Ware anschliessend zu ergonomischen 1:1-Kommissionier-Arbeitsplätzen. Zentrale Vorteile: Das System lässt sich schnell skalieren, bietet höchste Flexibilität und punktet darüber hinaus mit einer kurzen Realisierungszeit.
Welche Rolle spielen hierbei die Digitalisierung, aber auch die künstliche Intelligenz?
T.K.: Beide Bereiche spielen zweifellos eine grosse Rolle. Unsere Vision bei TGW Logistics ist es, bis 2030 vollautonome, autarke Lagerhäuser zu betreiben. Darin ist – zumindest in der Theorie – kein Personal vorgesehen. Künstliche Intelligenz hilft auch beim Thema «Big Data». Hier unterstützt KI, die riesigen Datenmengen – wir sprechen hier teilweise von Millionen an Datensätzen – so herunterzubrechen, bis man die Daten hat, die man wirklich braucht. KI ist auch hilfreich in der Software-Entwicklung, indem künftig nicht mehr jeder einzelne Code von Menschenhand geschrieben werden muss.
Die «TGW Digital Services»-Plattform ist die Schnittstelle zwischen den heterogenen Datenquellen eines Distributionszentrums und all ihren Nutzern. Die Plattform bereitet Informationen je nach Bedarf auf und ermöglicht Ihnen dadurch, das volle Potenzial der vorhandenen Daten auszuschöpfen.
Dank der maschinellen Lernalgorithmen ziehen Sie völlig neue Erkenntnisse aus Ihren Daten - so können Sie beispielsweise den Service «digitaler Zwilling» nutzen, um Verbesserungspotenziale in Ihrer Order-Struktur aufzudecken.
Mit der TGW Digital Services Platform stellen wir künftig ein globales Tool zur Hand, über das zukünftig verschiedene digitale Services & Produkte mit flexiblen Bezahlmodellen genutzt werden können.
Was sind für TGW Schweiz die wichtigsten Ziele in den nächsten Jahren?
T.K.: Weil wir in der Schweiz bereits an vielen Projekten dran sind und noch einige andere kommen werden, wollen wir hierzulande künftig unsere Service-Organisation ausbauen. Zu unserer Service-Organisation gehören etwa der technische Betrieb, Remote-Services, bauliche Erweiterungen, Retrofit-Projekte oder Software-Upgrades. Unsere Kunden möchten immer öfter, dass ihre Produktions- oder Logistikzentren technisch vom Anlagenpartner betrieben werden.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Beim Sportartikelhersteller Puma sind in dessen europäischem Distributionszentrum in Geiselwind bei Nürnberg (Deutschland) rund 60 TGW-Mitarbeitende ständig (!) vor Ort und kümmern sich darum, dass das Logistikzentrum technisch reibungslos läuft. Diesen Trend beobachten wir auch in der Schweiz. So werden wir etwa bei Grossprojekten nach Nutzungsbeginn eine grössere Anzahl von TGW-Mitarbeitenden für den technischen Betrieb der Anlagen beschäftigen.
Dafür werden wir junge Berufsleute am Markt rekrutieren und selbst in der TGW-eigenen Akademie in Marchtrenk und Wels (Österreich) ausbilden. In diesen Ausbildungszentren schulen wir diese Leute auf unseren Systemen. Schulungen gibt es aber auch für unsere Kunden, dies nach dem Prinzip des «train-the-trainer»-Systems. So wird sichergestellt, dass unsere Kunden anschliessend hausintern ihre Mitarbeitenden auf den TGW-Modulen ausbilden können.
Kommen wir zum Thema Software in Zusammenhang mit der Intralogistik. Wie sieht TGW das Potenzial von SAP-Logistikmodule im globalen «Warehouse Management-Software» (WMS)-Markt?
T.K.: Das Potenzial ist sehr gross. SAP hat insgesamt mehr WMS-Kunden als jeder andere WMS-Anbieter, nämlich mehr als 7000 mit seinem ERP-Legacy-System WM und «Entreprise Warehouse Management» (EWM). Laut Gartner sind die Gesamtkosten («Total Cost of Ownership», kurz TCO) von EWM tendenziell höher als der vergleichbarer WMS. Für uns heisst das: Eine Firma wie TGW Logistics muss die SAP-Integration zwingend im Portfolio haben und diese auch selbst beherrschen. Wir sind auch akkreditierter SAP-Silber-Partner.
Bei TGW Logistics haben wir aktuell eine Crew von rund 60 SAP-Experten, die mit dem Kunden zusammen exakt analysieren, welche Prozesse bereits abgebildet sind und welche neuen Abläufe gemeinsam implementiert werden. Der Mehrwert von SAP liegt darin, dass sich nahezu alle Prozesse abbilden lassen. Davon ausgenommen sind die Anlagen-Steuerung, die Fördertechnik, die ganze Sensorik und Aktorik. Kurz: Die gesamte Steuerungsebene bleibt weiterhin beim Lieferanten dieser Komponenten.
TGW hat schon viele EWM-Systeme von SAP implementiert. Aufgrund Ihrer Erfahrung: Werden mehr manuelle oder mehr automatisierte SAP EWM-Läger eingeführt?
T.K.: Das Verhältnis liegt derzeit bei rund 70:30. Etwa zwei Drittel sind automatisierte EWM-Läger, und das restliche Drittel sind manuelle Läger. Begonnen haben wir bei TGW Logistics mit vollautomatischen Softwarelager-Lösungen, da diese komplex sind und die Königsdisziplin darstellen. Mittlerweile setzen wir – gemeinsam mit unserem SAP-Consulting-Team – auch halbautomatische und manuelle Lager um. Nur als Klammerbemerkung: Im Grossprojekt der Bell Food Group in Oensingen wird SAP EWM vollumfänglich implementiert.
Kommen wir zum Thema mobile Roboter, die in letzter Zeit einen unglaublichen Aufschwung hinter sich haben. Das in diesem Bereich hochspezialisierte Unternehmen Safelog ist Kooperationpartner von TGW. Warum?
T.K.: Die TGW-Gruppe hat sich für den Entscheid, mit welchem Partner sie im Segment der mobilen Roboter partnerschaftlich zusammenarbeiten will, ganz bewusst Zeit gelassen. Potenzielle Partner im Bereich AMR gibt es unzählige. Es sind hunderte Unternehmen auf dem Markt, die mobile Roboter vermarkten.
Warum wir uns für die Firma Safelog entschieden haben? Nun, Safelog ist ein deutsches Unternehmen, das seit vielen Jahren «Automated Guided Vehicle»-Lösungen (AGV) für die Automobil-Industrie erbringt und insbesondere auf dem deutschen Automobil-Markt der grösste derartige Anbieter ist. So setzt Safelog für seinen Kunden Mercedes-Benz in der neuen «Mercedes Factory 56» im deutschen Sindelfingen eine Flotte von 550 seiner mobilen Transport-Roboter ein.
Die mobilen Safelog-Roboter stehen dabei dort für die Kommissionierung und den Transport von Bauteilen an die Fertigungslinien im Einsatz. Einen mobilen Roboter herstellen – das können viele Unternehmen. Wie man aber solche Geräte in einem hochkomplexen Umfeld erfolgreich integriert und in Betrieb nimmt, das beherrschen nur wenige Unternehmen. Man denke da nur an die Integration der dazugehörigen Logistik-Software, die Navigation oder die Kollisions-Vermeidung etc.
Safelog beherrscht dies alles, da die Firma solche AGV-Projekte in grossem Stil realisiert. Ein weiterer Aspekt, der für die Kooperationspartnerschaft zwischen Safelog und TGW Logistics spricht, sind die ähnlichen Unternehmensphilosophien. Beide Firmen sind wirtschaftlich gesund, nicht verkäuflich und haben einen höchstmöglichen Kundenfokus. Wir von TGW Logistics sind für Safelog insofern ein idealer Partner, da wir global mit und in unseren drei Kernmärkten «Apparel», «Grocery» und «General Merchandise» sehr breit und stabil aufgestellt sind.
TGW hat mit der Firma Safelog eine exklusive Kooperationspartnerschaft. Was beinhaltet diese konkret?
T.K.: Die globale Kooperationspartnerschaft zwischen uns und Safelog ist exklusiv. Das heisst: Wenn TGW Logistics beispielsweise in Spanien ein neues, grosses Distributionszentrum für Lebensmittel baut, dann wird Safelog nicht direkt am Markt anbieten.
Und zu guter Letzt gibt es noch sehr erfreuliche und aktuelle News zu vermelden. Die Gründung der Landesgesellschaft Safelog Schweiz AG wurde diese Tage vollzogen, und unser geschätzter Kooperationspartner wird in den nächsten Wochen am Standort der TGW Schweiz seine Aktivitäten aufnehmen. Wir sind der festen Überzeugung, dass mit diesem wichtigen Schritt gemeinsam weitere spannende Projekte umgesetzt werden können.
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