chevron_left
chevron_right
Logistik

«Hepatitis E ist definitiv eine Killer-Krankheit»

Die Variante Hepatitis E ist enorm gefährlich. In Gegenden wie dem Südsudan kommt die Krankheit häufig vor. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) hat in diesem Jahr eine erste grosse Impfkampagne durchgeführt. Wir haben uns mit zwei MSF-Verantwortlichen darüber unterhalten.

Hepatitis A, B und C  sind bekannt. Hepatitis E weniger. 2021 meldete das Bundesamt für Gesundheit eine «ungewöhnliche» Fallhäufung der potenziell tödlichen Lebererkrankung. In der Schweiz  tritt sie sehr selten auf, anderswo kann sie aber epidemische Ausmasse annehmen. Besonders dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben und schlechten Zugang zu sauberem Wasser haben, etwa im Vertriebenenlager Bentiu im Südsudan.

Genau dort führte Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) 2022 die weltweit erste grosse Impfkampagne durch. Die Epidemiologin Iza Ciglenecki und der Logistikexperte Ivan Quentin von MSF berichten im nachfolgenden Interview von den Vorbereitungen, den Herausforderungen und den Auswirkungen der Hepatitis-E-Kampagne.

Was ist Hepatitis E genau und warum ist es so wichtig, die Krankheit zu bekämpfen?
Iza Ciglenecki: In den Einsatzgebieten von Ärzte ohne Grenzen ist Hepatitis E ein grosses Problem. Besonders schwangere Frauen sind betroffen, die Todesrate liegt bei bis zu 25 Prozent. Zudem verursacht die Krankheit Fehl- und Todgeburten. Sie wird durch kontaminiertes Wasser übertragen und greift die Leber an. Ein Medikament dagegen gibt es bisher nicht.

Der Impfstoff Hecolin ist bereits seit 2011 verfügbar. Warum kommt er erst jetzt zum Einsatz?
Ciglenecki: Das Bewusstsein für Hepatitis E   ist nicht sehr ausgeprägt, auch unter Entscheidungsträgern. Dazu betrifft die Krankheit in der Regel sogenannte «vernachlässigte Bevölkerungsgruppen», das heisst, Geflüchtete, Vertriebene – die ärmsten Menschen weltweit. Niemand fühlt sich wirklich für sie verantwortlich.

Wie bereitet man eine Impfkampagne vor?
Ivan Quentin: Erstmal definieren wir unsere Zielgruppe und setzen uns mit der lokalen Kultur und der Geografie auseinander. Auch die Kühlung der Impfstoffe ist ein wichtiges Thema. Ich muss mich fragen: Welche Impf-standorte habe ich? Wie viele Menschen sollen pro Tag geimpft werden? Und wie lange brauche ich, um von A nach B zu gelangen? Zum Zeitpunkt der Injektion muss die Temperatur zwischen zwei und acht Grad liegen. Auf Basis dieser Parameter kann ich dann errechnen, wie viele Kühlschränke, Kühlboxen oder Ice Packs ich für Transport und Lagerung benötige.

Was waren die grössten logistischen Herausforderungen?
Quentin: Ganz klar das Volumen. Der Hepatitis-E-Impfstoff ist eigentlich äusserst ungeeignet für so eine umfassende Kampagne, denn er kommt in fixfertigen Einzelspritzen. Ganz anders als die Masernimpfung zum Beispiel, die in Puderform angeliefert und vor Ort angerührt wird. Auch der Transport des Impfstoffs vom Produktionsstandort in China nach Bentiu war ein ziemliches Unterfangen. Auf jede einzelne Spritze musste der chinesische Hersteller zudem eine neue Etikette kleben, da die südsudanesische Regierung nur Medikamente mit englischer Bezeichnung akzeptierte. Parallel dazu lief die Produktion von Covid-19-Impfstoff, wodurch wir lange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten. Durch die Pandemie haben wir bestimmt zwei Jahre «verloren».

Ciglenecki: Ja, der Transport innerhalb des Südsudans war sehr herausfordernd. Bentiu ist ein abgelegener Ort, den wir nur mit kleinen Flugzeugen von Juba aus anfliegen konnten.  Auch die extremen Überschwemmungen und weitere Impfkampagnen haben uns vor Ort viel Zeit gekostet.

Und was hat besonders gut geklappt?
Quentin: Begleitend zur Impfkampagne läuft eine wissenschaftliche Studie. Zu diesem Zweck mussten die Blutproben aus Bentiu über Juba und Addis Abeba an das Labor des Universitätsspitals in Genf geschickt werden, eine enorme Strecke. Die Endtemperatur der Blutproben durfte maximal –21 °C betragen. Ethiopian Airlines kümmerte sich um den Transport. Da es sich jedoch um eine passive Kühlkette – in diesem Fall Kühlboxen mit Trockeneis – handelte, mussten die Blutproben beim Verladen um ein Vielfaches kälter, etwa –60°C, sein. Die Blutproben erreichten Genf mit einer Temperatur von rund –40°C und unterlagen auch unterwegs keinen Schwankungen. Das heisst, dass wir akkurate Daten für unsere Studie haben. Die Studie wird wiederum Aufschluss darüber geben, wie gut der Impfstoff schützt und ob sich die Kampagne auf andere Gebiete übertragen lässt. Es sieht aber gut aus.

Inwiefern haben digitale Tools eine Rolle gespielt?
Quentin: Digitale Hilfsmittel waren in diesem Fall nicht so relevant. Natürlich könnten wir persönliche Daten festhalten und digitalisieren. Aber wir möchten die Anonymität und die Würde der Menschen achten. In Bentiu haben sowieso nur wenige eine E-Mail-Adresse. Auch das Alter einer Person ist nicht immer bekannt. Man muss sich fragen: Bin ich plötzlich in der Risikogruppe, weil ich 40 bin statt 39? Oder wirkt ein Impfstoff für unter Fünfjährige bei einem Sechsjährigen nicht mehr? Bei Kindern orientieren wir uns ohnehin oft an der Körpergrösse. Ausserdem geht es um die Gesundheit der Gesamtbevölkerung. Unser Ziel ist es, diese Krankheit einzudämmen, weil sie ganze Gemeinschaften bedroht.

Wie gut wurde die Impfkampagne von der lokalen Bevölkerung akzeptiert?
Quentin: Im Vorfeld informieren lokale Gesundheitspromotor:innen die Menschen über die Krankheit, den Nutzen der Kampagne und mögliche Nebenwirkungen. Sie hängen auch Poster auf oder kündigen die Impfkampagne im Lokalradio an.
Ciglenecki: Im Gegensatz zu Covid-19 wurde die Hepatitis-E-Impfkampagne sehr positiv angenommen. Die Krankheit ist vielen Menschen im Südsudan ein Begriff, fast jeder kennt jemanden, der bei früheren Ausbrüchen entweder sehr krank geworden oder gestorben ist. Zudem ist Ärzte ohne Grenzen seit Jahren in Bentiu im Einsatz und geniesst einen guten Ruf.

War die Kampagne ein Erfolg?
Quentin: Ja, auf jeden Fall.

Ciglenecki: Trotz der ganzen Herausforderungen gibt es auch von mir ein klares «Ja». Hoffentlich werden wir die se Impfkampagne bald auf andere Gebiete übertragen können. Aber wenn wir es in Bentiu unter diesen extremen Bedingungen geschafft haben, dann schaffen wir es überall.