Logistik steckt voller Überraschungen – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Nie wird das deutlicher als im letzten Quartal eines jeden Jahres, wenn die weltweit grösste Geschenkaktion «Weihnachten im Schuhkarton» startet. Entstanden ist die Aktion vor über 30 Jahren aus der Idee eines Unternehmers im britischen Wrexham: Er forderte die Kinder seiner Stadt auf, Weihnachtspäckchen für Kinder in rumänischen Waisenhäusern zu packen. Die Resonanz war überwältigend. Inzwischen ist «Weihnachten im Schuhkarton» weltweit aktiv und wird von der christlichen Hilfsorganisation Samaritan’s Purse geleitet.
«Wir wollen mit der Aktion Weihnachtsfreude verschicken», sagt Ursula Simon, Leiterin der Geschenkaktion im deutschsprachigen Raum. «Die Kinder sollen wissen: Sie sind geliebt, von den Menschen und von Gott.» Im vergangenen Jahr wurden durch «Weihnachten im Schuhkarton», international bekannt als «Operation Christmas Child», rund elf Millionen Kinder beschenkt.
Die Kartons werden in mehr als 170 Länder und Regionen und mit Ausnahme der Antarktis auf jeden Kontinent der Erde versandt. In Australien, Deutschland, Grossbritannien, Finnland, Kanada, Neuseeland, Österreich, in der Schweiz, in Spanien, Südkorea, Südtirol und den USA befüllen Menschen Schuhkartons mit neuen Geschenken, um bedürftigen Kindern eine Weihnachtsfreude zu machen.
Pakete aus dem deutschsprachigen Raum transportiert die Quehenberger Logistics GmbH in die Empfängerländer. «Für uns ist das nicht irgendein Transport», erzählt Holger Philipowski, Branch Manager bei Quehenberger Logistics und seit 16 Jahren für «Weihnachten im Schuhkarton» im Einsatz. «Das ist gelebte Nächstenliebe.»
In Ammerthal bei Nürnberg packt in diesem Jahr die Kinderfeuerwehr, in der Lutherstadt Wittenberg eine Oberschule, in Bayern stricken Freiwillige tausende Kindermützen. In Zürich, Salzburg, Kiel, in Tirol und Liechtenstein, auf Sylt und in den Alpen wird gepackt. Und das ist nur der Auftakt, bevor ein riesiges Logistik-Projekt anläuft, das «Weihnachten im Schuhkarton» erst möglich macht. Ist der Schuhkarton fertig gepackt, so wird er zu einer der über 4000 regionalen Abgabeorte im deutschsprachigen Raum gebracht.
Von dort aus transportieren Ehrenamtliche die Pakete zu Sammelstellen – spätestens hier übernehmen Logistikprofis. Ohne sie wäre der Transport hunderttausender Päckchen unmöglich. Jedes Jahr aufs Neue müssen zudem vorab Annahmen getroffen werden, auf deren Basis dann geplant wird – in der Realität gibt es mitunter Überraschungen. «Aber bisher» so Ursula Simon, «gab es für jede Herausforderung auch eine Lösung.»
Jedes Paket wird von Hand durchgesehen und kontrolliert
Auf 350 000 Päckchen aus dem deutschsprachigen Raum hofft Samaritan’s Purse in diesem Jahr. Verschickt werden sie von hier aus nach Osteuropa. Den Transport innerhalb des deutschsprachigen Raums übernimmt der Logistik-Allrounder Logiline, der den überwiegenden Teil der Pakete zunächst nach Berlin bringt. Lediglich aus der Schweiz transportiert Quehenberger die Schuhkartons direkt in die Empfängerländer.
Jedes einzelne Geschenkpaket wird vor dem Transport durch Freiwillige von Hand durchgesehen, sodass es nicht gegen Zoll- und Einfuhrvorschriften verstösst und die Qualität der Päckchen gewährleistet ist. In Berlin verwandelt Samaritan’s Purse dazu eine Lagerhalle in ein Kontroll- und Logistikzentrum mit über 100 Arbeitsplätzen. Ehrenamtliche schauen die Pakete dort durch, bevor sie verschlossen werden.
Unpassende Gegenstände werden aussortiert und durch andere Sachspenden ersetzt. Aussortierte, aber gut erhaltene Gegenstände werden von einer anderen Hilfsorganisation weiterverarbeitet. Auch beim Beladen der Lkws sind Ehrenamtliche mit im Einsatz. «Darum müssen wir enge Zeitfenster an der Ladestelle einhalten», so Philipowski.
Bei so vielen Unwägbarkeiten hilft vor allem eines: Pragmatismus. Philipowski sagt: «Wir verzichten auf alles, was verzichtbar ist.» Konkret heisst das: Verladen wird ohne Paletten, jeweils zwölf Geschenkboxen werden in Umkartons verpackt, so passen 714 Umkartons mit bis zu zwölf Weihnachtsboxen in einen Lkw. Auch das Tracking erfolgt händisch – per Telefon. «Die Fahrer melden sich einmal am Tag bis zehn Uhr mit Position telefonisch», so der Logistiker.
Spannend wird es dann an den Grenzübergängen. Damit die Pakete zollfrei eingeführt werden dürfen, müssen sie als Hilfslieferungen zugelassen und deklariert sein. Die dafür notwendigen Papiere organisieren die Verteilpartner vor Ort, meist Kirchengemeinden. Das nötige Know-how aber kommt von Quehenberger. Nicht nur bei Frachtbrief, Zollpapieren und Zertifikaten hilft der Logistikdienstleister, auch die Kommunikation mit den Empfängerländern leitet Quehenberger an.
«Eine falsche Bezeichnung», so Philipowski, «und die ganze Lieferung wird an der Grenze aufgehalten.» Denn auch das gab es schon: Ein Zollbeamter verlangte für jeden der mehr als 8000 Kartons eine eigene Zolldeklaration. Quehenberger ist auf Transporte nach Osteuropa spezialisiert. «Wir kennen die Herausforderungen», sagt Philipowski, «und können uns flexibel darauf einstellen.»
Etwa 60 Empfangspunkte beliefern die Lkws, und die Reise der Weihnachtspakete ist damit nicht beendet. Die finale Distribution übernehmen lokale Partnerorganisationen. «Das Engagement der Menschen vor Ort ist grenzenlos», erzählt Ursula Simon. Zum Einsatz kommen Boote, Kleintransporter, Pferdewagen, Kamele, Hubschrauber, sogar Elefanten.
Spätestens bei den Verteilaktionen, wenn die Kinder ihre Geschenkkartons bekommen, werden die Mühen belohnt: Die Freude der Kinder ist grenzenlos. «Wir verteilen Pakete an unglaublichen Orten», erzählt Ursula Simon, «keiner gleicht dem anderen.» Nur eines ist immer gleich: die Freude der Kinder. Auch für Holger Philipowski ist das der Antrieb, jedes Jahr wieder dabei zu sein. Er sagt: «Logistik kann die Welt besser machen.»
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