Nach zwei Jahren, Corona-Pandemie-bedingter Pause fand das 37. Zürcher Logistik-Kolloquium (endlich) wieder im Dozenten-Foyer der ETH Zürich in der Limmatstadt statt. Rund 70 Besucherinnen und Besucher nutzten die Gelegenheit für einen regen Erfahrungs-, Wissens- und Gedankenaustausch, indem sie den grösstenteils spannenden Vorträgen lauschten. Das Zürcher Logistik-Kolloquium wird seit vier Dekaden von der Dr. Acél & Partner AG in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigung (IWF) organisiert.
Dr. Peter Acél begrüsste die Gäste und erklärte, dass er stolz darauf sei, dass diese Veranstaltung seit 40 Jahren in dieser Form stattfinde. Zur diesjährigen Veranstaltung sagte er: «Bei unserem Motto 'New Level Operations' geht es um Leuchtturmprojekte in der Produktion und in der Logistik, und dabei geht es insbesondere um gesamtstrategische Fragen, um Organisation, um Digitalisierung. Es geht bei unserem diesjährigen Motto aber auch darum, beispielsweise Virtual Reality einzusetzen statt wie bis anhin Zement, Holz oder Stahl einzusetzen.»
Wichtige Werkzeugmaschinen
Als erster Referent sprach Prof. Dr.-Ing. Frank Brinken, Vorsitzender und Gründer der BB Intec AG in Rotkreuz und Inhaber diverser Aufsichts- und Verwaltungsratsmandaten zum Thema «Kein Maschinenbau ohne Logistik». Eindrücklich veranschaulichte er, dass die Werkzeugmaschinen die Mutter aller Maschinen sind. Denn ohne Werkzeugmaschinen gebe es keine industriellen Produkte, so Brinken.
Den grössten Weltmarktanteil (35 Prozent) in der Produktion von Werkzeugmaschinen hat Europa mit einem Umsatz von rund 28 Milliarden Euro (2019). Dabei machte Brinken klar, dass es für solche Maschinen mit bis zu 12‘000 Einzelteilen nicht nur gute und langfristige Lieferantenbeziehungen braucht, sondern dass auch ein grosser Vorfinanzierungsbedarf sichergestellt sein muss.
Die kundengeforderte Vielfalt entsteht aus der Kombination von Basismaschinen mit verschiedenen Komponenten und spezifischen Baugruppen. In der Produktentwicklung; zum Beispiel auch durch «design-to-shipment», lassen sich Transportkosten und -zeit sparen. Für Qualitätskomponenten gibt es weltweit nur drei globale Cluster: Europa (mit Italien, Süddeutschland, Tschechien und der Schweiz) sowie Taiwan und Japan.
Bis dato sei der Maschinenbau noch mehrheitlich von den aktuellen Krisen verschont geblieben. Doch wer heute in Europa bereits die drei grössten Herausforderungen wie das Dilemma der kleinen Stückzahlen, Sourcing und Transportkosten angeht, sei gut für die Zukunft gerüstet, resümierte Brinken.
Herausforderung Holzhandel
Im zweiten Referat der Veranstaltung gab Dr. Gesine Moritz, Divisionsleiterin Supply Chain Management und Mitglied der Geschäftsleitung der Woodpecker AG, einen Einblick zum Thema «Change im Handel». Bildlich zeigte sie den Entwicklungsweg, den die im Holzhandel tätigenUnternehmensgruppe Woodpecker Group AG beschritten hat.
Noch vor ein paar Jahren bestand die Gruppe aus sechs selbstständigen lokalen Firmen (Holzwerkstoffe Gfeller AG, Holzwerkstoffe Reiden AG, Holzwerkstoffe Notter AG, Holzwerkstoffe Frauenfeld AG, Holzwerkstoffe Dünner AG und Holzwerkstoffe Britsch AG). Jedes einzelne dieser Unternehmen hatte eine eigene Geschäftsleitung, verwaltete die Finanzen selber und war selbstständig für die Beschaffung zuständig.
Zwar gab es ein gemeinsames ERP, die Stammdatenpflege war jedoch dezentral. Synergien zwischen den einzelnen Standorten waren praktisch nicht vorhanden. Das alles änderte sich allmählich, als die verschiedenen Firmen unter der neugegründeten Woodpecker zusammengeführt und zu einer zukunftsgerichteten, einheitlich prozessorientierten Verkaufsorganisation zusammengeführt wurden. Dabei war die Logistik der entscheidende Erfolgsfaktor zur Unternehmens-Transformation.
Service Levels wurden erarbeitet und umgesetzt. Zum Beispiel werden neu Kundenbestellungen, die bis 17:00 Uhr eingehen, am Folgetag garantiert geliefert. Der Lagerbestandswert ist innerhalb von drei Jahren um über 20 Prozent reduziert und der Lagerumschlag von 2,5 auf 4,5 erhöht worden.
Die grössten Stolpersteine in dieser Transformation waren zugleich die grössten Erfolgsfaktoren: Die Menschen beziehungsweise die Mitarbeitenden. Bewährt habe sich dabei besonders die regelmässige Kommunikation mit den Mitarbeitenden, der Einbezug von Anfang an nach dem Motto «Betroffene zu Beteiligten machen», Vertrauen und Ermächtigung sowie das Aussteigenlassen von so genannten «Bremsern» (also diejenigen Mitarbeitenden, die den Wandel in der Firma nicht mittragen können oder wollen).
Digitale Zukunft bei Gilgen
Die Zukunft ist digital. Dies zeigte Daniel Gilgen (stellvertretender CEO und Geschäftsbereichsleiter Systeme bei Gilgen Logistics AG in Oberwangen) beim Thema «Digitalisierung trifft Automatisierung» eindrücklich auf. Gilgen vermittelte den Gästen einen vertieften Einblick in die Umsetzung der lückenlosen Datendurchgängigkeit über den gesamten Lebensweg der Logistikanlagen.
Der innovative Lösungsansatz von Gilgen Logistics AG verknüpft modernste Technologien, wie Augmented Reality, Digitaler Zwilling, Cloud Server und GS1 Digital Link mit Kunden- sowie Hersteller-Systemen und führt sie mit der Intralogistik zusammen. Die Daten sind jederzeit von überall in Echtzeit über die Cloud abrufbar. Damit sind sämtliche relevanten Informationen den Beteiligten in der richtigen Form zugänglich.
Der Einsatz von Augmented Reality im Verkaufsprozess ermöglicht zum Beispiel den potenziellen Kunden eine virtuelle Begehung des erarbeiteten Anlagen-Konzepts mit der Möglichkeit, diese direkt in der virtuellen Welt zu überprüfen. Die erste individuelle digitale Anlage ging im Herbst 2021 in der Verteilzentrale von Denner in Lyss in Betrieb. Bereits nach kurzer Zeit zeigte sich eine erhöhte Produktivität beim Endkunden und bei den Lieferanten.
Virtual Reality bei Geberit
Das Abschluss-Referat hielten Werner Züllig (Leiter Technik bei der Geberit Produktions AG in Jona) und Prof. Dr. Andreas Kunz (Leiter Innovation Center Virtual Reality der ETH Zürich). Sie gaben Einblick in spannende Resultate aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt zum Thema «Virtual Reality in der Arbeitsplatzgestaltung».
Stabile standardisierte Prozesse sollen mit dem «Geberit Produktions System» (GPS) sicherstellen, dass auch manuelle Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Vermeidung von Ressourcenverschwendung verbessert werden können. Im gemeinsamen Forschungsprojekt wurden Arbeitsplatze gänzlich in der virtuellen Welt mit der «Method time measured» (MTM)-Methode bewertet und Verbesserungspotenziale erhoben.
Die Benefits sind eine anhaltend hohe Cash-Generierung, auch bei kleinen Stückzahlen, sowie operative Margen, die deutlich über dem Industriedurchschnitt liegen. Geberit treibt diese strategische Initiative der Digitalisierung bewusst voran und sieht darin eine grosse Chance von echter Wertschöpfung am Standort Schweiz.
Nach einer abschliessenden Diskussionsrunde nutzten die Teilnehmenden die Gelegenheit zu gegenseitigem Austausch und Netzwerkbildung bei einem Apéro riche mit fast schon kitschig-schönem Sonnenuntergang und Aussicht auf die Stadt Zürich.