9. Dez. 2025

«Es steckt viel Potenzial in der nächsten Generation»

Am 28. und 29. Januar 2026 öffnet die «Logistics & Automation» in Bern wiederum ihre Tore. Die wichtigste Schweizer Fachmesse für (Intra-)Logistik, Fördertechnik und Lagerautomation präsentiert die künftigen Wege der Unternehmenslogistik. Die Messe-Veranstalter von Easyfairs sprachen mit Peter Spycher, dem Präsidenten des Verbands Intralogistik Schweiz (ILS), darüber, auf welche Themen sich die Besuchenden schon jetzt anlässlich der «Logistics & Automation 2026» freuen dürfen und was sie am Gemeinschaftsstand der ILS erwartet.

Peter Spycher ILS
Bild: Robert Altermatt
Peter Spycher.

Im Gespräch mit Peter Spycher, seit vielen Jahren Präsident des Verbands Intralogistik Schweiz (ILS). Der ILS wird an der kommenden Logistics & Automation wiederum mit einem grossen Gemeinschaftsstand präsent sein.

Peter Spycher, die ILS zählt mittlerweile 176 Mitgliedsunternehmen, davon 20 Neumitglieder im Jahr 2025 – ein neuer Rekord. Welche Rolle spielt die Intralogistik heutzutage als Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft, insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel, wachsendem Automatisierungsdruck und zunehmendem Einsatz von KI-Anwendungen?
Peter Spycher: Die Intralogistik gewinnt für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft massiv an Bedeutung. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren stark in die Optimierung ihrer Supply-Chain investiert, jedoch die internen Material- und Informationsflüsse häufig kaum hinterfragt. Genau hier liegt ein enormes, bisher ungenutztes Potenzial: Bereits mit vergleichsweise kleinen Investitionen lassen sich deutliche Produktivitätssteigerungen erzielen.

Wenn man bedenkt, dass sich die weltweite Roboterproduktion jährlich verdoppelt, wird sichtbar, wie tiefgreifend die Veränderungen in den nächsten Jahren ausfallen werden. Der Fachkräftemangel ist zwar ein allgegenwärtiges Thema, dennoch sehe ich in vielen Unternehmen zu wenig langfristiges Denken. In zehn Jahren wird unsere Arbeitswelt fundamental anders aussehen – und wir werden nicht nur in der Produktion und Logistik, sondern auch im Dienstleistungssektor in weit höherem Mass automatisieren müssen. Woher all die benötigten Ingenieure und Fachkräfte kommen sollen, ist bislang ungelöst und stellt ein gesellschaftliches Schlüsselproblem dar.

Künstliche Intelligenz wird uns bei dieser Transformation unterstützen und neue Lösungen ermöglichen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Doch KI ist kein Allheilmittel. Entscheidend ist, dass Unternehmen schon heute beginnen, ihre Prozesse ganzheitlich zu hinterfragen und strategisch auf eine automatisierte Zukunft hinzuarbeiten.

Die Schweiz steht vor der Herausforderung, bis 2030 möglicherweise bis zu 500'000 Arbeitskräfte zu verlieren. Wie kann die Intralogistikbranche durch innovative Technologien und Automatisierung nicht nur diese Lücke schliessen, sondern gleichzeitig die Qualität «made in Switzerland» bewahren?
P.S.: Die Schweiz ist im internationalen Vergleich gut positioniert. Unsere Stärke liegt in der engen Verzahnung von Mechanik, Software und Robotik – ein Zusammenspiel, das in dieser Form kaum anderswo zu finden ist. Mit Institutionen wie der ETH verfügen wir zudem über einen hochleistungsfähigen Technologiecluster, der Roboterinnovationen in der Branche entscheidend vorantreibt.

Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch nicht allein in der Technologie, sondern im Fachkräftemangel. Der Nachwuchs in technischen Berufen nimmt ab und es ist absehbar, dass weniger junge Menschen in diese Felder nachrücken werden. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Dienstleistungen stark an. Branchen wie Pflege, Unterhaltung, Gastronomie und Hotellerie werden künftig verstärkt von einer älter werdenden, finanziell gut aufgestellten Bevölkerung nachgefragt.

Ein Blick nach Deutschland zeigt, wohin die Reise geht: Dort scheiden derzeit rund eine Million Arbeitskräfte pro Jahr aus dem Arbeitsmarkt aus – und werden gleichzeitig zu einer neuen Nachfragemacht für Dienstleistungen, da viele früher und gesünder in den Ruhestand treten.

Ein weiterer Faktor ist der wachsende Wohlstand: In der Schweiz wurden in diesem Jahr erstmals über 100 Milliarden Franken vererbt. Dieses Vermögen ermöglicht vielen Menschen einen früheren Rückzug aus dem Erwerbsleben, was den Druck auf den Arbeitsmarkt zusätzlich erhöht.

Für die Intralogistik bedeutet das: Automatisierung und innovative Technologien sind unerlässlich, um die entstehende Arbeitskräftelücke zu schliessen und die hohe «made in Switzerland»-Qualität zu bewahren. Doch technologische Exzellenz allein genügt nicht. Wir müssen gleichzeitig sicherstellen, dass genügend Fachkräfte ausgebildet werden, um diese Systeme zu entwickeln, zu implementieren und zu betreiben. Nur die Kombination aus technologischer Innovationskraft und gezielter Talentförderung wird es der Schweiz ermöglichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern.

Die zweite ILS-Studienfahrt im Oktober 2025 war mit 50 Teilnehmern ausgebucht und führte zu innovativen Unternehmen wie Schindler, Swiss Post Cargo und Meier Tobler. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse dieser Reise und welche Innovationstrends stehen in diesem Zusammenhang für die Branche im Fokus?
P.S.:Die zweite ILS-Studienfahrt hat sich endgültig als zentraler Branchenevent etabliert und fungiert als echte Leistungsschau der Schweizer Intralogistik. Die besuchten Unternehmen präsentierten sich sichtbar stolz und gewährten einen offenen Einblick in ihre hochmodernen Prozesse und Lösungen.

Für Firmen, die vor Automatisierungsentscheiden stehen, bot die Studienfahrt einen aussergewöhnlichen Mehrwert: In nur zwei Tagen konnten unterschiedliche Technologien, Systemarchitekturen und Prozessansätze direkt vor Ort verglichen werden. Viele Teilnehmende kehrten mit konkreten Ideen für ihre eigenen Projekte zurück – von innovativen Materialflusslösungen bis hin zu neuen Software- und Robotikansätzen.

Die besondere Stärke des Formats liegt in der Verbindung von Technik und Netzwerk. Neben der Vermittlung von Best Practices entsteht ein intensiver Austausch zwischen Herstellern, Integratoren und Anwendern. Dadurch werden neue Perspektiven sichtbar – oft überraschend selbst für erfahrene Branchenprofis. Auch ich nehme mich da nicht aus: Die Vielfalt der Ansätze zeigt immer wieder, dass es nicht die eine richtige Lösung gibt, sondern viele unterschiedliche Wege zu effizienteren und resilienteren Intralogistikprozessen.

Deutlich sichtbar wurden mehrere Innovationstrends, die die Branche prägen: der zunehmende Einsatz von Robotik und autonomen Transportsystemen, die softwaregetriebene Prozessoptimierung, die KI-gestützte Planung und Steuerung sowie flexible, skalierbare Gesamtlösungen. Die Studienfahrt hat eindrucksvoll gezeigt, wie dynamisch sich die Intralogistik weiterentwickelt – und wie wichtig der offene Austausch über Best Practices für alle Beteiligten ist.

Mit der Virtual-Reality(VR)-basierten Schulung zur Regalinspektion hat die ILS einen neuen Ansatz in der Weiterbildung gestartet. Wie wird diese innovative Trainingsmethode von der Branche angenommen und welche Bedeutung hat die systematische Regalprüfung nach SN EN 15635 für die Betriebssicherheit in Schweizer Lagern?
P.S.: Mit der VR-basierten Schulung zur Regalinspektion konnte in der Schweiz eine einzigartige Lösung für mehr Betriebssicherheit geschaffen werden. Eine breit aufgestellte Expertenkommission – bestehend aus Anwendern, Herstellern, der Ausbildungsorganisation, der SUVA und der ILS Schweiz als neutralem Fachverband – hat gemeinsam einheitliche Standards für die Regalprüfung nach SN EN 15635 definiert. Diese Zusammenarbeit stellt sicher, dass die Anforderungen praxisnah formuliert sind und in der gesamten Schweiz einheitlich umgesetzt werden.

Die Resonanz aus der Branche ist sehr positiv. Viele Unternehmen übernehmen die definierten Standards in ihre internen Richtlinien und auch in der Ausbildung zum Logistiker gehören diese Inhalte heute zum Lehrplan. Durch die zweimal jährlich tagende Expertenkommission werden neue Erkenntnisse und Rückmeldungen aus der Praxis laufend in die Schulungskonzepte integriert. Dadurch bleibt die Ausbildung aktuell und technisch wie auch operativ auf dem neuesten Stand.

Bereits mehrere Hundert Fachkräfte wurden erfolgreich geschult und im kommenden Jahr steht ein umfassendes Update der VR-Lösung an, das die Ausbildung nochmals deutlich verbessern wird. Das Qualitätssiegel «Regalfachmann/Regalfachfrau ILS» wird von der Branche klar anerkannt und gilt als verbindlicher Standard. Es garantiert, dass alle Prüfenden nach den gleichen Kriterien ausgebildet werden und regelmässig zu Wiederholungskursen eingeladen sind – ein entscheidender Faktor, um die Qualität dauerhaft hochzuhalten und eine Verwässerung des Standards zu verhindern.

Unternehmen sind gut beraten, gezielt nach Fachpersonen mit diesem Qualitätssiegel zu fragen. Systematische Regalprüfungen nach SN EN 15635 tragen wesentlich zur Betriebssicherheit bei und helfen, Unfälle, Materialschäden und Ausfallkosten wirksam zu reduzieren.

Als Bronze- und Preispartner für den zweiten Platz bei den Berufsmeisterschaften «SwissSkills 2025» hat die ILS ein starkes Zeichen für die Nachwuchsförderung gesetzt. Welche Impulse nehmen Sie aus dieser Veranstaltung mit und wie kann die Intralogistik als Branche für junge Talente noch attraktiver werden?
P.S.: Als Verband haben wir die Verantwortung, klare Signale für die Nachwuchsförderung zu setzen und sichtbar zu machen, da unsere Branche weit über 60 verschiedene Berufsbilder umfasst. Die «SwissSkills» zeigen eindrücklich, mit welchem Engagement und welcher Leidenschaft junge Menschen in der Logistik tätig sind. Dieses Feuer zu sehen, ist motivierend und bestätigt, wie viel Potenzial in der nächsten Generation steckt.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung werden die Berufe im Logistikumfeld anspruchsvoller und dynamischer. Genau das macht sie für junge Talente besonders spannend – vorausgesetzt, wir zeigen ihnen die Entwicklungspfade auf und machen die Vielfalt dieser Berufswelt erlebbar. Sichtbarkeit ist der Schlüssel: Berufsmeisterschaften wie die «Swiss Skills», aber auch Fachmessen und praxisnahe Ausbildungsformate tragen wesentlich dazu bei, Interesse zu wecken und Talente langfristig für die Intralogistik zu begeistern.

In welchen Bereichen muss die Branche noch mehr für die Nachwuchsförderung tun? Planen Sie dazu etwas Besonderes am ILS-Stand an der Fachmesse «Logistics & Automation» in Bern?
P.S.: Die Branche zeigt bereits heute eine starke Geschlossenheit: Am gemeinsamen ILS-Stand präsentieren sich 20 Firmen, die trotz teilweise direkter Konkurrenz gemeinsame Interessen verfolgen. Genau diese Kooperation ist ein wichtiger Baustein der Nachwuchsförderung, da sie sichtbar macht, wie vielfältig, modern und zukunftsorientiert die Intralogistik ist.

Am ILS-Stand setzen wir in Bern gezielt zusätzliche Akzente. Mit dem Stand-up-Panel zur Studienfahrt bieten wir einen lebendigen Einblick in die Innovationskraft der Branche und in der Kommunikationsecke mit Kaffee entsteht ein Ort für Austausch zwischen Fachleuten, jungen Talenten und Ausbildungsbetrieben. Ein zentraler Punkt ist zudem, dass wir alle Mitglieder aktiv auffordern, sich klar als Ausbildungsbetriebe zu kennzeichnen. Dazu werden wir alle mit einem Flyer anschreiben. Nur wenn sichtbar wird, wo junge Menschen einsteigen können, erhöhen wir langfristig die Attraktivität der Branche und schaffen echte Orientierung für die nächste Generation.